SALAAM – FRIEDEN

Eine Weihnachtsgeschichte im Dezember 2023: ein kleines Mädchen, umstrahlt von den Taschenlampen der Weisen aus dem Morgenland, die es aus den Trümmern in Gaza gerettet haben. Ihre Eltern wurden leblos aufgefunden. Niemand kannte ihren Namen, also gaben ihre neuen Onkel ihr einen ganz besonderen: Salaam – Frieden.

Eines Tages wird Salaam uns alle fragen: Wo warst du, als mein Volk in Gaza ausgehungert, bombardiert und ausgelöscht wurde?

Liebe Salaam, ich bin eine alte Frau deutscher Abstammung. Ich möchte meine Wahrheit zu deiner Frage aussprechen und damit dich, deine kostbare Menschlichkeit, die deiner Eltern, deiner Verwandten und des historischen Palästinas ehren.

Es war einmal ein weiser Mann hier in Südafrika.  Viele Menschen aus dem globalen Süden werden euch von seiner furchtlosen moralischen Haltung gegen die Apartheid erzählen.  Und von seiner leidenschaftlichen Solidarität mit dem historischen Palästina. Sein Name ist Desmond Tutu (1931 – 2021). Er strahlt das Licht der Hoffnung aus, dass der menschliche Anstand immer Fackelträger finden wird.

Wir sind für das Gute geschaffen. Wir sind für die Liebe geschaffen. Wir sind für Freundlichkeit geschaffen. Wir sind für Zusammengehörigkeit geschaffen. Wir sind dazu geschaffen, der Welt zu sagen, dass es keine Außenseiter gibt. Desmond Tutu

Ich bin dankbar für seine unantastbare Würde und liebevolle Güte und die vieler Frauen und Männer, junger und alter, und für Black Life in Südafrika.

Meine Eltern waren Nazis und beteiligten sich am Völkermord an den Juden und an der Ermordung von Millionen von Menschen in Osteuropa. Mein Leben lang habe ich versucht, meine Eltern und ihre grausamen Entscheidungen wiedergutzumachen. Seit meiner Jugend ist es meine Vision, Brücken zu bauen über die Kluft zwischen dem Ausgrenzen und dem Anderssein von Menschen hinweg.

Ich nenne es interkulturelle Kommunikation:  In einen heilenden Dialog miteinander zu kommen, normative und ausgrenzende Barrieren, überlegene Ansprüche und die Abspaltung in eine äußere, gefügige Persona und ein inneres, verschlossenes, verängstigtes Herz in Frage zu stellen.

In Gesprächen mit jungen Südafrikanern über den Holocaust und als profitierende Weiße in Apartheid Südafrika spreche ich oft über diese Abspaltung; die erschreckende Dichotomie von liebenden Eltern einerseits und ihren monströsen Aspekten als Komplizen der Nazi-Mördermaschine andererseits. Dies könnte eines Tages auch israelische Kinder heimsuchen, wenn sie versuchen, sich im Umfeld der groben Menschenrechtsverletzungen und des grausamen Krieges ihres Landes gegen die Palästinenser zurechtzufinden.

Seit Anfang Oktober verfolge ich (mit offenem Herzen) die bösartige Vernichtungskampagne in deinem Heimatland. Ich empfinde Scham und große Traurigkeit über den grausamen Sadismus der israelischen Zerstörungswut; einige genießen perverser Weise den tiefen Schmerz, den sie verursachen.

Ein Dokumentarfilm mit dem Titel “1920: The Other Palestine” (Das andere Palästina) zeigt, was Edward Said als (tragisches) Paradoxon bezeichnete: “dass die Ziele, die Juden als Volk vor Obdachlosigkeit und Antisemitismus zu bewahren, die Enteignung der einheimischen, indigenen Palästinenser erforderten”.

Während ich das Leiden der Palästinenser miterlebe, überschneiden sich die Brutalität der Nazis und Israels in meinen Träumen und Erinnerungen. Ich sehe so viele Ähnlichkeiten. Die Manipulation der Menschen, einer Ideologie der Auslöschung der dämonisierten “Anderen” zu folgen. Betrügerische Führer, die ein sichereres, besseres Leben versprechen, nachdem sie den “Abschaum der Menschheit” vernichtet haben. Ich höre die Sprache der Nazi-Demagogen und sehe diese Worte aus dem Mund der zionistischen Extremisten fließen.

Meine Eltern identifizierten sich als Opfer und wurden dann zu brutalen Tätern. Ihr Bild verwandelt sich in das von israelischen Hassrednern, die zu bösartigen Gestalten werden; dies sind wiederkehrende Träume.

Ich recherchierte über die Tötung von Guerillakämpfern in Griechenland. Nazi-Tötungskommandos machten Jagd auf Freiheitskämpfer. Mein Vater war ein Teil davon. Für jeden getöteten deutschen Soldaten wurden ganze Dörfer und Städte ausgelöscht, bis auf die Grundmauern niedergebrannt, Männer, Frauen, Kinder, ältere Menschen, alle erschossen und verbrannt. In meinen Träumen sehe ich den Hass in diesen deutschen Gesichtern, die grausame, sadistische Häme in ihren Augen. Diese Bilder vermischen sich mit Aufnahmen von israelischen Scharfschützen, die verängstigte palästinensische Zivilisten derzeit in Schulen und Krankenhäusern erschießen.

Diese Bilder verdichten sich zu einem alptraumhaften Schrecken über die Abwesenheit jeglicher menschlichen Emotionen, ohne auch nur einen Hauch von Mitgefühl, ohne Anstandsgefühl. Sie waren/sind beide entmenschlichte Vernichtungsmaschinen geworden, Nazideutsche und Israelis, so ähnlich. 

Welche Menschlichkeit steckt noch in einem Menschen, der “anordnet”, dass Palästinenser weder Schmerz noch Freude über die Wiedervereinigung mit ihrer Familie “empfinden” dürfen?

Ich empfinde tiefe Enttäuschung über das heutige Schweigen in Deutschland; keine Presseberichterstattung über die brutale Auslöschung des historischen Palästinas, der Menschen und ihres Landes durch Israel. Die deutsche Medienzensur hat sich auf einseitige Formulierungen wie “der Krieg gegen die Hamas” geeinigt und damit die Identität und das Leid des palästinensischen Volkes ausgelöscht. 

Salaam, um dich, alle Palästinenser, zu ehren, möchte ich meine Wahrheit zum Ausdruck bringen:

NEIN. Ich schulde denjenigen in der israelischen Regierung oder Gesellschaft, die die Auslöschung der Palästinenser und ihres Landes enthusiastisch unterstützen, keine Loyalität.

NEIN dazu, manipuliert oder bedroht zu werden, israelische Mörder als Opfer zu akzeptieren, die durch deutsche Heldenverehrung geschützt werden müssen. Das macht uns mitschuldig, erneut! Am Völkermord.

NEIN zu dem Grauen, dass das israelische Militär an Palästinensern, Lehrern, Ärzten, Musikern, Künstlern, Müttern, Großvätern, Journalisten, Krankenschwestern, Unternehmern, unschuldigen Kindern wie Salaam, ausüben.

Ich sage den israelischen Kriegsführern: “Ihr könnt nicht die Seelen oder die Würde der Palästinenser vernichten. Ihr könnt nur eure eigene Menschlichkeit zerstören. Mit jedem gewalttätigen, hasserfüllten, zerstörerischen Akt gegen Palästinenser sterbt ihr ein wenig, bis ihr eiskalt, verbittert, dann gebrochen und ungeliebt seid. Ich habe das in meiner eigenen Familie nach dem Ende von Nazi-Deutschland erlebt; sie waren durch ihre grausamen Entscheidungen in sich erstarrt; sie zerstörten einander und bald darauf auch sich selbst.

Ich spreche das aus, weil ich das zerstörerische Erbe kenne, das ihr in den Herzen und Seelen eurer eigenen Kinder zurücklasst. Der Terror, der in ihnen brennt. Sie werden ihn verbergen und mit Selbstmitleid (oder Wut) zum Schweigen bringen; mit Drogen, Alkohol, häusliche Gewalt oder Selbstverletzungen. Wir hören bereits Geschichten von jungen israelischen Soldaten, Frauen und Männern, die zwanghaft den ganzen Tag duschen. Nachdem sie Palästinenser getötet haben, versuchen sie verzweifelt, das Blut von ihren Händen zu waschen, immer und immer wieder. Wir hören Geschichten von Soldaten, die vor dem Töten Alkohol trinken und Drogen nehmen, dann während des Tötens und anschließend noch mehr. Das haben auch die Nazimörder getan, meine Familie hat solche Geschichten erzählt.

“Wenn wir andere als Feinde betrachten, laufen wir Gefahr, das zu werden, was wir hassen. Wenn wir andere unterdrücken, unterdrücken wir am Ende uns selbst. Unsere Menschlichkeit hängt davon ab, dass wir die Menschlichkeit in anderen anerkennen”. Erzbischof Desmond Tutu

Bitte Salaam, erhalte das Licht der Hoffnung in dir. Ihr werdet Bekenntnisse von mutigen jüdischen Menschen und anderen weltweit hören:

“Wir können nicht zulassen, dass die moralische Seele des Judentums mit unserem kollektiven Schweigen zu Israels völkermörderischem Krieg gegen die Palästinenser in Gaza untergeht” (Amanda Gelender).

“Wir weinen mit den Palästinensern” Rabbi Zule Oskan, Jüdische Antizionistische Gruppe, Istanbul.

Ich bete für dein Wohlergehen, liebe Salaam, und das deiner neuen Onkel. Und dass die jungen Menschen hier in Südafrika, in Deutschland, überall dich eines Tages mit Respekt und liebevoller Herzlichkeit begrüßen werden. Dazu möchte ich mich in heilendem Dialog mit jungen Menschen weiterhin engagieren. Mögen wir gemeinsam erkunden, Scham und Wut aussprechen und den menschlichen Anstand ehren.

 

Friede sei mit euch – bald!

 

Elke Geising, Kapstadt, Südafrika