Unsere Geschichte lebt in uns
Die Welt erlebt mit, wie sich Südafrika gegen die Menschenrechtsverletzungen und die völkermörderische Zerstörung Palästinas wehrt. Das erinnert an einem biblischen Moment, David gegen Goliath, letzterer eine überwältigende, zerstörerische Militär- und Finanzmacht; die unheilige Allianz von Israel, den USA und der Europäischen Union.
Südafrika kann uns wertvolle Lektionen über unsere mitmenschliche Verbundenheit erteilen. Wir erleben Dimensionen menschlichen Anstands, der Achtung der menschlichen Schönheit im anderen, von Würde, die weit über die Grausamkeiten der Apartheid hinaus strahlt. Ich bin sehr dankbar für diese Lehre und sage:
“Von der Scham zur Gnade; Das Leben in Südafrika hat mich geleitet zu spiritueller Öffnung, zur Bereitschaft der Veränderung und zum Austausch aus dem Herzen heraus. Ich möchte darüber sprechen, Frieden mit unserer Vergangenheit zu schließen, zu akzeptieren, ehrlich zu teilen und das innere Schweigen und die eingeschlossenen Gefühle der Scham und der Wut zu durchbrechen. Lasst uns offen sein für moralische Imagination und Solidarität.
Ich habe ein Video aus Gaza angeschaut. Männer und Frauen, auf dem Weg zu behelfsmäßigen Blutspende Zentren, bahnen sich mühsam einen Pfad durch die ständigen Bombardierungen. Trotz Verzweiflung, Hunger und Erschöpfung spenden sie ihren verletzten Landsleuten Blut. Diese ergreifenden Bilder der mitmenschlichen Liebe, die durch dünne Schläuche aus den Adern eines Palästinensers in die einer anderen fließt, haben mich in die Knie gezwungen – diese Barmherzigkeit, dieser menschliche Anstand.
Wir müssen nicht abhängig bleiben von Schuldgefühlen oder passiv-aggressivem Schweigen über unsere Geschichte als Deutsche oder koloniale Weiße überhaupt. Es hält uns in einem Zustand der Abwehr, der Selbstbezogenheit und der Abspaltung; meine Erfahrung damit wird in den nächsten Essays behandelt werden.
In diesem Beitrag geht es um meine Geschichte als Nachkomme kollektiver Aggressor Kulturen. Ich habe mein Leben lang global gelebt und gearbeitet, mit der Bereitschaft und Aufgeschlossenheit, einander zu begegnen.
Seit meiner Jugend ist es meine Vision, interkulturelle Zusammenarbeit anzustreben – sowohl in kreativer als auch in reparativer Weise.
Ich hoffe, dass ich meine Erfahrungen weitergeben und junge Menschen inspirieren kann, die international arbeiten und leben wollen. Sie werden Erfahrungen und einen Fahrplan brauchen, um ein sinnvolles Leben angesichts der zunehmend feindseligen Klüfte zwischen den Gesellschaften zu führen.
Ich schreibe dies mit einem Gefühl von Dringlichkeit, als Zeuge die grausamen, vorsätzlichen Vernichtung palästinensischen Lebens und palästinensischer Häuser durch Israel und seine Partner zu sehen. Dies ist sehr schmerzhaft, beschämend und sehr alarmierend.
Lange Zeit dachte ich, dass die gezielte, systematische Vernichtung, die von gebildeten Deutschen geplant und durchgeführt wurde, der ultimative Maßstab für das Böse sei. Und dass wir im 21. Jahrhundert ein höheres Maß an Aufklärung und Besonnenheit gelernt und gelebt haben würden.
Nicht so ist es heute, ich bin von Trauer erfüllt. Wir sehen eine perfektionierte KI, eine fortgeschrittene barbarische technologische Kriegsführung mit völkermörderischen Absichten, die von hochentwickelten, gut ausgebildeten Menschen, die ohne Anstand – oder Respekt vor der Menschenwürde – die palästinische Gesellschaft zerstören;
Ich empfinde tiefe Scham und Desillusionierung. Aber ich muss mir auch meine Ignoranz eingestehen, mit der ich so lange den US-amerikanischen und europäischen Mainstream-Medien als Informationsquelle gefolgt bin und über Jahrzehnte hinweg die systematische und sadistische Entmenschlichung der Palästinenser durch Israel (und Großbritannien) seit 1920 nicht näher untersucht habe.
Die Generation meiner Eltern und viele davor, und auch jetzt noch, haben jüdische Menschen missachtet. Es war mein Wunsch, die Ausgeschlossenen, die Anderen zu treffen und sie kennen zu lernen. Ich habe vielerorts anhaltende Freundschaften geschlossen. Als Mitglied von visionären, kulturübergreifenden Projektteams bauten wir globale Kommunikationsnetzwerke auf. Ich rapportierte an jüdische Manager. Wir leisteten gemeinsam erstaunliche Pionierarbeit und erinnern uns noch heute gerne daran.
Ich schreibe dies, weil ich differenzieren muss zwischen der zionistischen Ideologie des Überlegenheitsanspruchs und uneingeschränkter Berechtigung einerseits.
Auf der anderen Seite besteht eine wunderbare, respektvolle Verbundenheit zwischen vielen Menschen mit unterschiedlichem kulturellem Background, einschließlich vieler jüdischer Menschen in der ganzen Welt.
Es gibt viele Menschen, die sich für mitmenschlichen Respekt einsetzen und sich einander mit Sorgfalt und Würde bei der Entfaltung ihres Lebens unterstützen. Eine rassistische Einstellung, die auf Überlegenheit beruht, kann das Trauma, das so vielen Menschen zugefügt wurde, nicht verantworten. Dies ist die Geschichte, die in ihren Nachkommen weiterleben wird. Sie werden diese anhaltenden traumatisierenden Folgen noch lange in sich tragen. Es wird unschuldige Palästinenser für den Rest ihres Lebens belasten.
“Sind deine Eltern auf diesen Fotos zu sehen”? fragt mich eine junge Frau, als wir eine Fotoausstellung betrachten, die Szenen deutscher Gräueltaten an jüdischen Menschen dokumentiert.
Mehrere Jahre lang nahm ich einmal im Monat an Dialog Workshops im Cape Town Holocaust Museum teil. Die pädagogische Leiterin der Stiftung hatte Workshops zur Sensibilisierung für die zerstörerischen Folgen der Stereotypisierung und Dämonisierung anderer in Nazi-Deutschland und hier während der Apartheid in Südafrika entwickelt.
Gruppen diverser Herkunft, oftmals Oberschülern, Lehrer, Sozialarbeitern und Universitätsstudenten nahmen an einem persönlichen Erfahrungsaustausch, Rollenspielen und einem gemeinsamen Rundgang durch das Holocaust-Museum teil. Regelmäßig hörten die Teilnehmer Zeitzeugenberichte von Überlebenden des Holocaust. Es war demütigend, anschließend von meinen Erlebnissen als Nachkomme von Nazi-Eltern und Gesellschaft zu berichten.
Ich beginne mit: “Ja, meine Eltern waren Nazis und haben sich mit Überzeugung an diesem Genozid beteiligt”. Während ich von meiner Konfrontation mit diesem Erbe spreche, zeige ich Familienfotos, meine Eltern in Uniform und auch Bilder von ihrer Verliebtheit. Dann Filmszenen der Vernichtungsaktionen, die ich recherchiert hatte und an denen mein Vater teilnahm.
Oft nehme ich an der Museumsführung teil und beantworte Fragen. “Meine Eltern könnten alle Deutschen sein, die Sie auf diesen Bildern sehen”, sage ich.
Schweren Herzens zeige ich auf eine Szene, in der Männer in braunen Uniformen mit Holzknüppeln mehrere Menschen brutal zusammenschlagen. Die Opfer dieses grausamen Angriffs trugen gelbe Sterne auf der Brust. Sie waren blutend zu Boden gesunken, einige flehten. Schaulustige bildeten einen Kreis um sie herum und wurden willentlich Zeugen dieses brutalen Mordes; einige starrten ausdruckslos, andere applaudierten den Mördern.
Dies ist meine Geschichte. Als Nachkomme von Täter-Kulturen kann ich meine generationenübergreifende traumatisierende Geschichte anerkennen. Besonderes mit Hilfe jüdischer und schwarzer moralischer Ratgeber und Freunde hier habe ich den Mut gefunden, den Täter-Opfer-Tanz in mir selbst zu akzeptieren. Ich spreche offen über Scham, Wut und vor allem über die Abspaltungen der Innen und Außenwelt, die Ausdruck finden in selektiver Empathie und moralischem Opportunismus im kollektiven (kulturellen) Kontext.
Ich empfinde tiefe Traurigkeit und sage: “Meine Eltern, wie konnten sie nur”? Sie waren, zumindest für eine kurze Zeit, liebevolle Eltern für uns. Und dann entdeckte ich ihre ungeheuerlichen Seiten als Vollstrecker einer bösen Kampagne, die ganze Gesellschaften entmenschlichte und tötete.
Diese Themen der Abspaltung, der Fragmentierung in liebevolle, fürsorgliche, warme Menschen, die sich jedoch ebenso leicht in abweisende Gegner verwandeln können, thematisiere ich heute in Dialogtreffen. Und auch meine Abwehrmechanismen. die sich zwischenmenschlich in kritischem Urteilen und ‚Fehler finden‘ äußern.
Diese Abspaltung erlebte ich erneut, als ich nach Südafrika zog, ins Herz der Apartheid. In beiden Gesellschaften herrschte tiefe Verdrängung, “absichtliche Ignoranz” (Achille Mbembe). Eine tragische Abspaltung des Persönlichen, das Liebe und Zugehörigkeit in geschlossenen Gemeinschaften von “Gleichgesinnten” suchte und ebenso leicht in die “abweisende äußere, gesellschaftskonforme Persona” wechseln konnte; mitschuldig an der entmenschlichenden Ideologie und deren Aufrechterhaltung.
Ich musste mich der eigenen Fragmentierung stellen. Ich weiß heute, dass Angst, Neid und Wut in mir vorhanden sind und mich leicht in einen Feind verwandeln, der andere verletzt, selbst wenn es nur kleine Dinge sind. Und wie leicht es ist, sich als Opfer zu fühlen und auf die Handlungen anderer zu zeigen, die sich verletzend anfühlen, als ob jemand mir etwas antun wollte. Und was für eine Erleichterung es sein kann, andere als gut oder schlecht zu beurteilen, um meine moralische Überlegenheit zu steuern und zu sichern.
Ehrlich zu sein und alle Aspekte meiner Identität anzuerkennen und in Dialogen offen darüber zu sprechen, war der erste Schritt, um die Geschichte in mir zu akzeptieren und Frieden mit ihr zu schließen. Dies ist mein Entwicklungsprozess von ‚Scham und Schande zu Glück und Gnade‘.
In meinem nächsten Essay schreibe ich über den Prozess der Integration von abgespaltenen Aspekten. Eine ehrliche, bewusste Öffnung zur Akzeptanz und zu der Fähigkeit, zu trauern und sich selbst und anderen zu vergeben. Das hat mir Mut gegeben, das unerträgliche, schmerzhafte Leiden der Palästinenser mitzuerleben. Und den israelischen grauenvollen Mördern meine Wahrheit zu sagen: “Nein, nicht in meinem Namen”. Ihr wart die Empfänger dieses Hasses, der Vernichtungsaktionen meiner Familie, der Nazis; und jetzt seid ihr zu ihnen geworden – grausam und unmenschlich.
Nach jeder Dialogrunde schließe ich mit: “Wir müssen miteinander reden, lasst uns gemeinsam einen Dialog über unsere Geschichte führen und Brücken über die persönlichen und kollektiven Kluften bauen. Die Hoffnung auf Versöhnung und die Saat der Liebe müssen aus einem bereitwilligen Herzen kommen.
Mehr noch als Aufklärung und Bildungsgrad müssen wir unsere Herzen öffnen, über unsere Gefühle sprechen, über alle Gefühle, die auftauchen, Schambarrieren überwinden und gemeinsam die Facetten der uns inhärenten menschlichen Schönheit berühren.